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Rezess der Bürgerholzberechtigten

Datum Chronikeintrag: 6. November 1866

Die Gemeinde Kallenhardt, gelegen im Amte Altenrüthen, dieses wiederum im landrätlichen Kreise Lippstadt, darüber der Regierungsbezirk Arnsberg entwickelte sich aber nach Übernahme der Provinz Westfalen durch Preußen aufgrund von Neusiedlungen, Hofesgründungen, Handwerk und bürgerlichen Berufen im Laufe der beiden nächsten Jahrhunderte so, dass in der Zeit von 1857 bis 1867 insgesamt 123 Hausstellen als selbständige und freie Familien vorhanden waren, auch Stellenbesitzer oder Inhaber von Solstellen genannt. Dazu gab es nicht nur eine mächtige und weithin sichtbare Kirche, sondern eine selbständige Pfarrstelle zu Kallenhardt, eine Vikariestelle daselbst, außerdem eine eigene Schule.

Das am 05.02.1792 in Kraft getretene „Preußische Allgemeine Landrecht” bedeutete eine geschriebene Ordnung für Eigentum und Besitzstand, der auch zivile Schutz des freien Bürgers wurde gefestigt, die Ansprüche des eigenen Individuums und des Stellenbesitzers vor Eingriffen geschützt.

Bestätigt und übernommen wurden die alten Rechte der Bürger, außer ihrem meist kleineren Eigenbesitz Vieh zu halten und dieses mittels der garantierten Feld-, Weide- und Waldhude zu ernähren und zu vermehren. Unabhängig von der Stadt- oder Gemeindeverwaltung (heute: Körperschaft des öffentlichen Rechts) bestanden aus den Ur-Rechten eines freien Bürgers heraus an eben der Gemeinschaft gehörenden und von Ort zu Ort unterschiedlich großen Gebieten der Feld-, Weide- und Waldhude, zusammengefasst die „Allmende”, woran fest begrenzte und umschriebene Nutzungsrechte unabhängig von der Größe des eigenen Besitzes und unabhängig vom Beruf oder der ausschließlich landwirtschaftlichen Betätigung. Schon zur Erhaltung der Existenz und zur Befriedigung der Familienbedürfnisse war jeder Stellenbesitzer mit seiner Familie darauf angewiesen, an diesen Ur-Rechten teilzunehmen. Dazu gab es auch den oder die Hirten in der Gemeinde, der gegen gewisses Entgelt die Tiere der einzelnen Bürger mitnahm und hütete; andererseits bestanden in der Einrichtung von Feldhütern Schutz und Ordnung, es wurde Eigentum und Besitz überwacht und die Ordnung respektiert. Zu den altgeschichtlichen Bürgerrechten gehörte auch der Bezug von Brenn­ und Bauholz, so dass in dieser Wirtschaftsform jeder Bürger durch eigenen Besitz, durch Beruf und Teilnahme an den gemeinschaftlichen Nutzungsrechten (Servitute) in seiner Existenz gesichert wurde.

Zum anderen gab es aber auch im 19. Jahrhundert einen gewaltigen Umbruch in Familien, Orten und Berufen: Die Maschine und deren industrielle Nutzung gewann immer mehr Raum, führte zu anderen Entwicklungszentren, ließ bisherige Gemeinwesen erhebliche Änderungen erfahren. Der Ort und seine Bürger waren nicht mehr so in sich geschlossen. Ein Übriges tat 1791 ein verheerender Brand durch einen Blitzschlag, durch den ganze Straßenzüge in Kallenhardt dem Feuer zum Opfer fielen. In dem engen, von Mauern umschlossenen, wenn auch sicheren Raum des Ortes Kallenhardt begannen die ersten Aussiedlungen (Kallenhardt­Heide). Um 1850 wurde im Übrigen die Bewirtschaftung des Arnsberger Waldes mit einem erhöhten Schutz des Waldes neu überdacht und geregelt; es wurden gewisse Hauerordnungen geschaffen, eine gewisse Planwirtschaft wurde von den Verwaltungen, insbesondere Preußen gefördert. Die Bevölkerung nahm in vielen Orten durch Zuzug von außen erheblich zu. Für den Rat der Stadt Kallenhardt war dies der Anlass, neue Wege der Waldnutzung zu finden, planmäßige, junge Baukulturen vor der Zerstörung durch zu große Viehherden zu schützen. Die Naturalwirtschaft wurde zum Teil zugunsten einer Geldwirtschaft aufgegeben. Moderne und geschulte Verwaltungen in Preußen waren bestrebt, alte Gemeinschaftsrechte der einzelnen Bürger einzuschränken und dafür den Gemeinden als Verwaltungshoheit durchgreifende Rechte zu geben.                                                                                       

 Der Rezeß von 1866 in Kallenhardt

So kam es, dass in Kallenhardt am 15.12.1856 „auf Teilung der daselbst bisher gemeinschaftlich genutzten Gemeingründe angetragen und von der Königlichen Generalkommission zu Münster unter dem 9. Januar 1857 die Einleitung des Auseinandersetzungs-Verfahrens” verfügt wurde. Ein solches Verfahren – auch Rezeß genannt- führte im Endergebnis zum Wegfall der tatsächlichen Nutzungsrechte der bürgerberechtigten Stellenbesitzer und zur Überleitung der Gemeingründe aus Feld, Weide und Hude, soweit es nicht im Privatbesitz einzelner Bürger stand, auf die politische Gemeinde.

Eine derartige grundlegende Beschneidung und Veränderung in den tatsächlichen Nutzungsrechten an den Gemeingründen konnte und durfte aber nicht ohne Entschädigung und ohne Absicherung der Bürger für die Zukunft erfolgen. Insbesondere in Preußen wurde auch rechtsstaatlich anerkannt und von den Juristen untermauert, dass der Wegfall eines so wichtigen, selbständigen Nutzungsrechtes nur zulässig ist gegen Einräumung eines verbrieften, garantierten und damit ewigen Rechtes dieser bürgerrechtsberechtigten Stellenbesitzer, auch in der Zukunft die Nutzung des Waldes durch geordnete Holzlieferungen mitzugestalten und zu erhalten.

So entstand als Gegenleistung und Entgelt das Holz-Bürgerrecht und garantierte jährliche Lieferungen an Brennholz und in gewissen Abständen Lieferungen in Form von Bauholz, dies alles wiederum nach einer festen Ordnung und „gegen Entrichtung des Hauerlohnes.

Konnte man vor dem Rezeß Neubürger in der Gemeinde werden und damit auch die Naturalrechte in der Form der Nutzung der Gemeingründe erwerben, so wurden jetzt durch den Rezeß endgültig die Gemeingründe auf die politische Gemeinde übertragen und damit weiterem Erwerb durch Neubürger entzogen. Übrigens war die Geburt eines Neubürgers vorher zwingend daran gebunden, eine selbständige Hausstelle in Kallenhardt zu gründen und zu besitzen und sich in die Bürgerrechte einzukaufen. In der Regel betrug dieses zusätzliche Entgelt 3 Silbertaler und drei lederne Löscheimer (so in älteren Urkunden und Gerichtsurteilen belegt).

Entscheidend ist, dass dieses Natural-Bürgerrecht als altgeschichtliches, durch Jahrhunderte gewordenes und verteidigtes Recht eines selbständigen und freien Bürgers nicht durch bloße Geldzahlung abgelöst werden durfte und auch zum Schutze der Bürger und ihrer Existenz ihnen neue „Bezugs-rechte” als subjektiv-dingliche Rechte (ähnlich wie das Eigentum und geschützt durch die Garantie des Artikel 14 Grundgesetz) gegeben wurden. Den Gemeinden wurde verboten, diese Grundflächen oder Gemeingründe in Kämmereivermögen (rein fiskalisches Geldvermögen) umzuwandeln oder gar zu veräußern.

Das Auseinandersetzungsverfahren wurde am 15.12.1856 beantragt und am 09.01.1857 von der Königlichen Generalkommission eingeleitet. Es zog sich 10 Jahre hin, so dass der Rezeß am 6. November 1866 von den Beteiligten unterzeichnet wurde und endgültig von der Königlich Preußischen General-Kommission ausgefertigt und gesiegelt wurde und eine Ausfertigung an die Gemeinde Kallenhardt übergeben werden konnte.

Auszug aus “Rezess über die Teilung der Gemeingründe von Callenhardt im Kreise Lippstadt”

 

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